Photovoltaik

Photovoltaik

BAUWERKINTEGRIERTE PHOTOVOLTAIK

Solarstromanlagen als teil der Gebäudehülle

von Martin Frey

In einer Serie berichtete die SONNENENERGIE (6/2012–3/2013) ausführlich über Grundlagen, aktuelle Trends und langfristige Entwicklungen der bauwerkintegrierten Photovoltaik (BIPV). Hier haben wir für Sie das Wesentliche zusammengefasst.

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Bild 1: Für das „Ecobauhaus“ im schweizerischen Laax hat der österreichische BIPVLieferant MGT-esys eine komplett geschlossene Fassade aus opaken PV-Elementen geschaffen. © Foto: MGT-esys GmbH

In einer Serie berichtete die SONNENENERGIE (6/2012–3/2013) ausführlich über Grundlagen, aktuelle Trends und langfristige Entwicklungen der bauwerkintegrierten Photovoltaik (BIPV). Hier haben wir für Sie das Wesentliche zusammengefasst.

POTENZIAL, BAUTEILE UND MÖGLICHKEITEN DER MEHRFACHNUTZUNG

Der Ausbau der Solarstromnutzung innerhalb des Gebäudebereichs erfolgte bislang fast ausschließlich in Form von Aufdachmontagen. Dass man damit die Gebäudehülle komplett ersetzt, ist noch immer die große Ausnahme. Dies liegt unter anderem daran, dass die Realisierung durchaus anspruchsvoller ist. Schon bei der Begrifflichkeit beginnt es: Die Integration von Photovoltaik wird meist als „Gebäudeintegrierte Photovoltaik“ (GIPV), englisch „Building-integrated photovoltaics“, kurz BIPV, bezeichnet. Heinz Hullmann, apl. Professor an der Leibniz Universität Hannover, plädiert dafür, den Begriff auf „Bauwerkinte­grierte Photovoltaik“ (BIPV) auszuweiten, da auch andere Flächen nutzbar sind, etwa auf Vordächern oder Lärmschutzwänden, die zwar Bauwerke, dafür aber keine Gebäude seien. Hullmann ist Leiter der Fachgruppe „Bauwerkintegrierte Photovoltaik“ des in Koblenz ansässigen Bundesverbandes Bausysteme.

30 % des Strombedarfs

Aktuell beginnt die BIPV, bei Architekten und Bauherren mehr und mehr Anklang zu finden: Beispielsweise wurden bei Bahnhofsneubauten in Utrecht (2010), Turin und Rotterdam (beide 2012) Solarzellen in die Dachhaut integriert. Ähnliches gilt für etliche Fußballstadien, Industrie- und Gewerbebauten sowie private Projekte. Das Potenzial für BIPV in Deutschland ist tatsächlich erst im Ansatz erschlossen: Laut Dena-Gebäudereport 2009 gibt es hierzulande rund 18 Mio. Wohngebäude. Hinzu kommen wohl um die 1,5 Mio. Nicht-Wohngebäude. Zusammen existieren also rund 20 Mio. Gebäude. Das Institut für Umwelttechnik und Energiewirtschaft (IUE) der Technischen Universität Hamburg-Harburg hat unter Leitung von Martin Kaltschmitt für die Gebäudedächer ein technisch nutzbares Flächenpotenzial von 742 Mio. m2 ermittelt. Hinzu kommen noch einmal 348 Mio. m2 Fassadenflächen.

Zusammen stehen für Solarenergienutzung rund 1.000 km2 zur Verfügung. Mit rund 900 km2 entspricht das einer Fläche, die 20 % größer ist, als die des Bundeslandes Berlin 1). Volker Quaschning von der HTW Berlin rechnet für die Zeit beim Erschließen des Potenzials mit einem Wirkungsgrad von 18–20 %. Geht man von nur 18 % aus, ergibt sich eine installierbare Leistung von 196,2 GWp, mit der sich jährlich 176,6 TWh Strom gewinnen ließen. Bezogen auf den deutschen Jahresstrombedarf von 584 TWh bedeutet dies einen Anteil der möglichen Stromgewinnung allein aus der Gebäudehülle von rund 30 %. Davon abzuziehen sind freilich noch Flächen für Solarthermie, sofern keine Hybridkollektoren zum Einsatz kommen, die beide Nutzungen auf derselben Fläche miteinander kombinieren.

Verschiedene Branchen

Anders als bei Aufdach-PV-Anlagen sind bei bauwerkintegrierten Anlagen eine Vielzahl an Akteuren möglich. Das fängt schon bei der Herstellung an: Die Module kommen entweder von klassischen PV-Produzenten, die Module zur Gebäudeintegration nebenher im Programm haben oder von Glasherstellern, die zumeist einzig und allein BIPV-Produkte anbieten. Die Anbieter von Montagesystemen sind meist Produzenten von Stahl- oder Aluminiumprofilen, die bislang schon Pfosten-Riegel-Konstrukti­onen für den Fassadenbereich anbieten.

Vielfältige Anwendungsbereiche

In der Gebäudehülle bietet sich ein breites Spektrum an Anwendungsfeldern für Solartechnik: Die Dachfläche kann komplett durch Solarmodule ersetzt werden. PV-beschichtete Metalldächer oder in Folien integrierte Dünnschichtzellen bieten die Möglichkeit einer besonders einfachen Montage. Künftig werden auch PV-Folien Bestandteil textiler Membrandächer werden. Transparente Dachstrukturen lassen schon heute an vielen Projekten Tageslicht ins Gebäudeinnere. Für denkmalpflegerisch sensible Bereiche sind PV-Dachziegel in verschiedensten Formen und Farbgebungen auf dem Markt erhältlich.

Auch im Fassadenbereich sind die Solarlösungen ähnlich vielfältig: Der Bauherr hat die Wahl zwischen opaken Solarfassaden, die meist als Kaltfassade ausgeführt werden (Bild 1) sowie transparenten Varianten für Warmfassaden, die entsprechend ihrer Lichttransmission für mehr oder weniger Tageslicht sorgen und so, auch in Kombination mit einfachem Wärmeverbundglas, den Klimatisierungsbedarf des Gebäudes beeinflussen. Auch der Einsatz von PV in Oberlichtern, Klapp- oder Schiebeläden, Sonnenschutzlamellen an Brüstungen und in Vordächern erweitert den Spielraum für den Gestalter.

Mehrfachfunktionen nutzen

BIPV-Lösungen bieten gegenüber aufgesetzten PV-Anlagen auch eine größere Vielfalt an Mehrfachfunktionen: Neben der Ästhetik und der Basisfunktion der Stromerzeugung können sie ganze Gebäudeteile ersetzen, transparente Module geben die Möglichkeit der Tageslichtnutzung. Deren Teilverschattung eröffnet im Einzelfall die Möglichkeit, auf eine Klimaanlage zu verzichten bzw. sie sparsamer zu dimensionieren. Neben den klassischen Schutzfunktionen vor Witterung, Wärmeverlust und Schall können die PV-Elemente aber auch die Abschirmung gegenüber elektromechanischer Strahlung bieten. Dies kann in Gewerbebauten eine wertvolle Zusatzleistung sein.

Kombination mit Innovationen

Etliche Indachsysteme kombinieren zudem Photovoltaik, Solarthermische Anlagen sowie Dachfenster in einem Rastermaß. Es besteht auch die Möglichkeit, hinterlüftete PV-Elemente zur Wärmegewinnung zu nutzen oder PV-Elemente im Winter zeitweise zu Beheizen um Schneelasten zu entfernen. Darüber hinaus können in Glas-Glas-Modulen lichtemittierende Dioden (LEDs) die Gebäudehülle farbig beleuchten und so zur „Medienfassade“ machen. Auch eine Beleuchtung des Innenraums ist darüber denkbar, durch entsprechende optische Streuelemente ist für eine gleichmäßige Lichtverteilung zu sorgen. Zum Sonnenschutz können auch schaltbare Gläser bzw. zur Wärmegewinnung in die Glasscheiben integrierte Phasenwechsel-Speicherelemente eingefügt werden. Stromerzeugung sowie zugleich das Senden bzw. Empfangen von hochfrequenten Kommunikationssignalen ermöglicht eine bereits beim ISET in Kassel entwickelte Antennenanlage. Diese gliedert sich optisch komplett in die Fassade ein, sie reduziert Funkschatten, hat aber auch eine reduzierte Sendefeldstärke, was der Elektrosmogbelastung in Wohnsiedlungen entgegenwirkt. Eine weitere intelligente Zusatzfunktion kann die einer Alarmanlage sein, wenn in den Spannungskreis einer PV-Anlage eine modulierte Hochfrequenz eingekoppelt wird, welche Alarm schlägt, sobald sie unterbrochen wird.

Bereits vor zwanzig Jahren setzte sich Christian Bendel für BIPV ein: „Schon auf der Handwerksmesse 1992 in Frankfurt am Main habe ich das Postulat des Mehrfachnutzens formuliert“, erzählt der Sachverständiger für photovoltaische Anlagentechnik aus dem hessischen Schauenburg. In der damaligen Zeit hatte auch Architekt Thomas Herzog in München ein Privathaus mit der ersten gebäudeintegrierten Solarfassade ausgerüstet. Bendel gründete damals am ISET-Institut in Kassel ein eigenes Arbeitsgebiet zur BIPV und brachte die Entwicklung von sogenannten „Multielementen“, die mehrere Funktionen in einem Bauteil übernehmen, voran. Bendel verstarb am 25. November 2012. Mit ihm verlor die Photovoltaik-Gemeinde einen bedeutenden Pionier.

KOMPONENTEN & ANBIETER

Die bauwerkintegrierte Photovoltaik gilt zu Recht als Alleskönner: Sowohl Module als auch Montagesysteme sind in reicher Auswahl auf dem Markt. Transparente, farbige oder auch flexible Module auf Kunststofffolien sowie innovative und leichte Tragkonstruktionen fördern die kreativen Möglichkeiten.

Individuelle Module

Es gibt zahlreiche Spezialfirmen, die aus Standardzellen hochindividuelle Modullösungen fertigen. Es werden sowohl monokristalline- als auch polykristalline Zellen und Dünnschichtmodule verarbeitet. Die Kunden haben die Auswahl unter zahllosen Kombinationsmöglichkeiten, beispielsweise hinsichtlich Zelltyp, Abmessungen, Glasart sowie starr oder nachgeführt. Unabhängig davon, ob ein Modul rechteckig oder quadratisch, dreieckig, trapezförmig oder rund gestaltet wird, stellt sich die Herausforderung, stets gleich viele Zellen mitein­ander zu verbinden, damit innerhalb einer Verschaltungseinheit, den Strings, gleiche Spannungen und Ströme auftreten. Blindmodule, sog. Dummies, dienen dem randlichen Abschluss bzw. werden in Bereichen mit Verschattung eingesetzt.

Dünnschichttechnik

Während bei klassischen Aufdachanlagen meist kristalline Module zum Einsatz kommen, spielt im Indach-, bevorzugt jedoch im Fassadenbereich, die Dünnschichttechnik eine immer wichtigere Rolle. Dies liegt einerseits an ihren vergleichsweise höheren Wirkungsgraden im Schwachlichtbereich, liefern sie doch auch bei ungünstig ausgerichteten Fassaden noch ausreichend Energie. Außerdem bieten sie optisch ein einheitlicheres Erscheinungsbild.

Transparente Module

Gerade im Gebäudebereich spielt Transparenz von Solarflächen eine immer größere Rolle. Architekten können dank der Kombination von Wärmeschutzverglasung und transparenten Solarmodulen den Einsatzbereich der Photovoltaik deutlich erweitern und attraktive Innenraumstimmungen durch das einfallende Tageslicht erzeugen. Die Transparenz wird bei kristallinen Modulen wahlweise durch den Abstand der Zellen beziehungsweise durch eine Perforierung erreicht. So kann ein monokristallines Modul mit 3 mm Zellabstand 16 % Transparenz und eine Leistung von 165,8 W/m2 erreichen, wohingegen eines mit 5 cm Zellabstand zwar 46 % Transparenz erzielt, was allerdings lediglich 66,4 W/m2 Leistung mit sich bringt. Bei Dünnschichtzellen, die 10 % und 20 % Transparenz haben, entsteht die Lichtdurchlässigkeit während der Fertigung durch Strukturierung der Stromführungsbahnen mittels Laser.

Abwechslung durch farbige PV

Neben Chancen einer transparenten Gestaltung liefert auch eine unterschiedliche Farbgebung vielfältige architektonische Lösungen. Solarzellen können dabei grundsätzlich auf drei Arten eingefärbt werden. Die einfachste ist die, mittels der Wahl der Zelltechnologie ihre jeweils gegebene Farbigkeit zu nutzen. Monokristalline Zellen sind etwa von Natur aus schwarz, wohingegen amorphe Zellen teils violett schimmern.

Die weitere Möglichkeit der Farbbeeinflussung besteht darin, die Stärke der Antireflexschicht zu verändern. Auf diese Weise lassen sich bei kristallinen Zellen andere Farbtöne als Blau erzielen, welches aus der Sicht des Wirkungsgrades jedoch optimal ist (> 17 %). Wer multikristalline Zellen lieber in Smaragd bevorzugt, muss mit noch 15,8 % rechnen. Einen noch geringeren Wirkungsgrad erzielen Oberflächen in Bronze (15,1 %), Gold, (14,1 %) oder Silber (13,0 %). Farblich weit intensivere Effekte lassen sich durch farbige Glasscheiben, Folien oder Siebdrucke erzielen, die auf der Gebäudeinnenseite aufgebracht werden, um nicht den Sonneneinfall auf die Zelle zu mindern.

Dass die Architekturhülle der Zukunft weit mehr können muss, als Strom zu erzeugen, spricht sich immer mehr herum: Auch Wärmegewinnung und andere Funktionen werden integrierbar. „Adaptive Gebäudehüllen“ sollen es hier ermöglichen, dass sich die Fassade dem Wandel ihrer Umgebung, bedingt durch Tageszeit, Wetter oder Saison, anpassen kann.

Modulaufbau je nach Bedarf

Je nach Bedarf stehen für bauwerkintegrierte PV-Lösungen unterschiedliche Glaskombinationen zur Verfügung: Ist geringes Gewicht und günstiger Preis gefragt, können Glas-Folien-Module mit Einscheiben-Sicherheitsglas (EFL) ihren Zweck erfüllen. Nach geltenden Baunormen darf dies aber nur bis zu einer bestimmten Einbauhöhe und mit entsprechenden Montagesystemen ausgeführt werden. Bei Indachmontagen bieten sich Verbundsicherheits-Dünnglas-Module (VSG-EVO) an. Sollen Module in Kaltfassaden oder über Kopf zum Einsatz kommen, sind Verbundsicherheitsglas-Module (VSG) das Mittel der Wahl. Für Warmfassaden bzw. im überkopfbereich beheizter Räume gibt es Verbundsicherheits-Isolierglas-Module (VSG-ISO). Gute Wärmedämmeigenschaften spielen dabei eine immer größere Rolle: Bei 2-Scheiben-Glas mit Edelgasfüllung ist ein U-Wert von 1,1 W/(m2.K), bei 3 Scheiben ein U-Wert von 0,5 W/(m2.K) zu erreichen.

BIPV-Module müssen in ihrer Funktion als Bauprodukt besondere Sicherheitsauflagen erfüllen, da sie zum Beispiel auch als Geländer zur Absturzsicherung eingesetzt werden können. Bei Verbundsicherheitsglas (VSG) verhindern zwischen den Gläsern aufgetragene Folien das Zersplittern der Glasscheibe und garantieren deren Resttragfähigkeit.

Montagesysteme

Für den perfekten Sitz bauwerkinte­grierter Anlagen ist die Wahl der richtigen Befestigung von größter Bedeutung. Meist wird man dazu eine lineare Lagerung entlang von Leisten oder Pfosten-Riegel-Konstruktionen (Bild 2) verwenden. Ebenso sind nachgeführte Anlagen, meist linear gelagert. Wenn auf einheitliche Glasflächen ohne Leisten zwischen den Modulen Wert gelegt wird, kommen Punkthalterungen zum Einsatz.

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Bild 2: Die Pfosten-Riegel-Konstruktion nimmt die Kabel der Solarmodule auf und leitet sie verdeckt zum Wechselrichteranschluss. Module und die Glasscheiben sind mit Gummidichtungen zum Metallrahmen hin versehen. © Foto: Martin Frey

Für Indachsysteme halten die Anbieter das wohl umfangreichste Spektrum an Montagesystemen bereit. Längst vorbei sind die Zeiten, als in Tonziegel eingelassene Solarzellen als Integrationslösung angepriesen wurden. Heute sind Photovoltaik-Dachziegel meist ausgereifte stromerzeugende Schindeln, welche ein einheitliches Dachbild ergeben.

Aber auch Module in Standardformaten und Dünnschicht-Folienbahnen können ideale Lösungen für Geneigt- bzw. Flachdächer sein. Besonders leichte Glas-Glas-Modul als Indach-System, Indachsysteme oder PV-Module in demselben Rastermaß wie thermische Kollektoren oder Dachfenster. Für große Flachdächer werden auch Solar-Laminate in Dünnschichttechnologie angeboten.

Montagesysteme für Fassaden

Bei Fassaden kommen oftmals Pfosten-Riegel-Konstruktionen zum Einsatz. Solche Montagesysteme werden bevorzugt in Aluminium gefertigt, wahlweise auch in Stahl. Konstruktionen aus Holz sind noch eher selten zu finden – im Rahmen dieser Recherche konnten dazu keine Systemanbieter ausfindig gemacht werden. Meist handelt es sich bei Projekten um Individuallösungen einzelner Schreinereien.

Der Aufbau der Pfosten-Riegel-Konstruktion bietet Vorteile für die Kabelführung: Die Profile nehmen die Kabel der Solarmodule auf und leiten sie verdeckt Richtung Anschluss. Der Abstand zwischen Modul bzw. Glasscheibe und Metallrahmen wird mittels Gummileisten abgedichtet. Soll auf außen liegende Pressleisten, die die Stöße überbrücken, verzichtet werden, so kann Structural-Glazing zum Einsatz kommen: Hier wird die Last der Glasfassade über eine verdeckte Halterung abgefangen, und die Glasscheiben bzw. Module sind lediglich miteinander verklebt. Eine Sonderform der Kaltfassaden ist die vorgehängte hinterlüftete PV-Fassade (Bild 3). Maximale Gestaltungsfreiheit bietet der Einsatz von Seilkonstruktionen, dabei hängen die Module frei in einer Seilverspannung, die Module sind z.B. nur mit Klammern mit den Stahlseilen verbunden.

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Bild 3: Das neue vollautomatische Hochregallager des Textilunternehmens Ernsting´s family in Coesfeld-Lette besitzt eine vorgehängte gefaltete Solarmembran, die neben der Stromproduktion je nach Jahreszeit Wärmegewinne bzw. Verschattung ermöglicht. © Foto: Ernsting´s family GmbH & Co. KG

KOSTEN & WIRTSCHAFTLICHKEIT

Ausgerechnet bei der BIPV, die unter dem Generalverdacht steht, extrem teuer zu sein, gestaltet sich die Beweisführung für den finanziellen Nutzen als ein besonders schwieriges Unterfangen.

Kriterien zur Beurteilung

Um die Wirtschaftlichkeit eines BIPV-Projektes zu beurteilen, sind die Investition sowie und die laufenden Kosten der Summe der Einnahmen über die Zeit der Lebensdauer gegenüberzustellen. Am schwierigsten dabei ist, Annahmen darüber zu treffen, wie der Wert der Mehrfachnutzen, etwa durch vermiedene Klimatisierung oder Tageslichtgewinne, zu beziffern ist. Hinzu kommt, dass die Preise für die Solarmodule zwar stetig fallen, dies bei der BIPV aber entweder abgeschwächt oder erst später zum Tragen kommt. Die Energiepreise hingegen dürften auch in den kommenden Jahrzehnten weiter anziehen – was zumindest den Einsatz der BIPV immer attraktiver macht.

Erwartungen der Kunden

Eine Untersuchung des Marktforschungsinstitutes EuPD Research aus dem Jahr 2009 zeigte, dass für den Kunden bei BIPV-Produkten neben den Garantiebedingungen vor allem wichtig ist, dass sie eine hohe Effizienz, aber auch einen günstigen Preis aufweisen. Die Befragten gingen mehrheitlich davon aus, dass Module, Montagesysteme und Montagekosten von BIPV-Systemen teurer seien als nicht-integrierte Systeme. Immerhin äußerten aber auch bereits acht bzw. 18 % die Erwartung, dass Montagesysteme und Montagekosten niedriger ausfallen könnten.

Modul- und Systemkosten

Solarmodule zur Gebäudeintegration sind in aller Regel teurer als herkömmliche Module: Fachleute sind sich darin einig, dass die hohen Kosten der BIPV oft auch an deren geringen Stückzahlen liegt. Neben den Modul- bzw. Systemkosten entstehen weitere Kosten: Planungs- und Montagekosten, außerdem Mehrwertsteuer, Wartung und Reparatur, eventuelle Mindererträge infolge Degradation bzw. Betriebsausfällen sowie Versicherungen, Einkommensteuer und Kreditzinsen.

Thermische Systeme

Dass nicht nur im Dach sondern auch an der Fassade eine Kombination von Stromerzeugung und Wärmegewinnung sinnvoll erscheint, beweist die relativ hohe Wirtschaftlichkeit aktiver thermischer Systeme, wie Luft- und Warmwasserkollektoren. Deren Flächenkosten liegen schon längere Zeit zwischen denen passiver thermischer Systeme – wie Wintergärten oder Transparenter Wärmedämmung – sowie hybrider Systeme wie der Bauteilaktivierung. Dies ergab eine Auswertung verschiedener solarer Fassadensysteme in einem Forschungsprogramm des Bundeswirtschaftsministeriums aus dem Jahr 2005. Gerade solche Systeme ermöglichten die höchsten bauteilflächenspezifischen Energiegewinne 2).

Stromertrag und Bauteile

Als Erträge, die den Kosten einer BIPV-Anlage gegenübergestellt werden können, zählen einerseits die Energieerträge aus der Einspeisevergütung über 20 Jahre bzw. der vermiedene Strombezug bei Eigenverbrauch. Der Stromertrag hängt dabei teils vom Standort ab, aber auch den Modulen und ihrer Neigung. Bei Südfassaden ist mit einem Minderertrag gegenüber der optimal geneigten Dachanlage von etwa 30 % zu rechnen. Indem die BIPV-Module andere Gebäudeteile ersetzen, kann der Wert dieser nicht benötigten Gebäudehüllen-Materialien von den Kosten abgezogen werden. Das gilt auch für jene Planungs- und Montagekosten, die bei einer Referenzfassade angefallen wären. Welche Ersparnisse daraus resultieren, hängt stark vom ersetzten Material ab: Ein Quadratmeter Dachziegel mit Unterbau hat oft nur einen Wert von 40 EUR.

Fassadenintegrierte Photovoltaikanlagen können durch ihre Verschattungsleistung den Klimatisierungsbedarf im Gebäude senken. Bei der alleinigen Betrachtung der Investkosten ist die Isolierglasfassade oftmals am günstigsten und die PV-Fassade am teuersten. Aber sobald die Solarstromgewinne vor allem die vermiedenen Kosten der Klimatisierung aufgrund der Verschattung mit einbezogen werden, sieht es anders aus.

Tageslicht und Zusatznutzen

Weitere Erträge sind durch Tageslichtgewinne zu erwirtschaften. In ihrem Beitrag zum OTTI-PV-Symposium im Jahre 2011 ermittelten Hullmann und Schütze, dass Funktionen wie Wetterschutz, Schallschutz, Antennenfunktion oder gestalterische Aufgaben mit ihrem jeweiligen Wert von den Gesamtkosten abgezogen werden können.

In einer Studie untersuchte nun das Fraunhofer ISE aus Freiburg in Zusammenarbeit mit dem Institut für Industriebetriebslehre und Industrielle Produktion (IIP) des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) den Einfluss semitransparenter BIPV auf die Lebenszykluskosten eines Gebäudes. Als Simulationsobjekt wurde dazu ein virtueller Büroraum mit einer BIPV-Fassade gewählt. Zum Einsatz kommen wahlweise je vier Varianten an Zelltechnologien sowie Transparenzgraden. Neben dem Stromertrag sowie den eingesparten Kosten gegenüber einer konventionellen Fassade wurden die Auswirkungen auf die Gesamtenergiebilanz untersucht – beeinflusst doch der Lichtdurchlass direkt den Heiz-, Kühl- sowie Kunstlichtbedarf im Raum.

Die Berechnungen zeigten deutliche Unterschiede auf: So erzeugten mono- und multikristalline Siliziummodule unter den gegebenen Preisannahmen geringere Mehrkosten gegenüber einer Referenzfassade als amorphe Siliziummodule und CIGS-Module, da sie auf der gleichen belegten Fläche mehr Strom­ertrag ermöglichen. Je höher indes der Transparenzgrad ist, desto geringer fällt in der Regel aufgrund geringerer aktiver Solarfläche der Stromertrag aus. Für alle Varianten galt, dass die BIPV ihre Mehrkosten über 20 Jahre nicht refinanzieren kann.

Rendite nicht im Fokus

Bauwerkintegrierte Photovoltaik liefert gerade durch ihre Möglichkeit, Mehrfachnutzen zu realisieren, auch finanziell interessante Argumente für Planer und Architekten. Dennoch sollte die Wirtschaftlichkeit nicht das primäre Ziel solcher Projekte sein. Maria Roos vom Fraunhofer-Institut für Windenergie und Energiesystemtechnik IWES in Kassel, die bereits beim Multielement-Projekt mitgearbeitet hat, warnt daher davor, die BIPV auf den Renditegedanken zu reduzieren: „Wir vernachlässigen dann ganz wichtige Funktionen wie moderne Gestaltung, positives Image, bessere Vermietbarkeit, die zum Einsatz dieser Technologie motivieren“.

Energetische Funktionen

Nicht zuletzt bieten die energiegewinnenden Dächer und Fassaden eine Antwort auf künftige Energiepreissteigerungen sowie wachsende energetische Anforderungen an die Gebäudehülle. Dies wird sicherlich durch die EU-Richtlinie befördert, wonach ab dem Jahr 2020 nur noch Neubauten zu errichten sind, die nahezu Nullenergiegebäude sind. Die energetischen Gewinne durch den Einsatz der BIPV lassen sich dann aufs trefflichste verrechnen. Vor allem aber sollte man sich stets vor Augen führen, dass BIPV-Fassaden die einzigen Fassaden sind, die überhaupt Einnahmen produzieren. Sobald zudem klassische Bauteile mit BIPV versehen werden können ergeben sich weitere interessante Geschäftsmodelle für die Gebäudeintegration. Manch ein Architekt dürfte daher froh sein, wenn er sich bis dahin einen Namen mit BIPV-Projekten machen konnte.

Literatur

Fath, K; S. Mende; H. R. Wilson;

J. Stengel; T.E. Kuhn; F. Schultmann (2012): Impact of semi-transparent building-integrated photovoltaics on building life-cycle cost. Life-Cycle and Sustainability of Civil Infrastructure Systems – Strauss, Frangopol & Bergmeister (Eds), 2013 Taylor & Francis Group, London.

1) Kaltschmitt, M.; Streicher, W.; Wiese, A. (Hrsg.) (2012): Erneuerbare Energien – Systemtechnik, Wirtschaftlichkeit, Umweltaspekte; Springer, Berlin, Heidelberg, 5. Auflage. ISBN 978-3-642-03248-6, € 59,95, voraussichtlicher Publikationstermin 31.10.2012

2) Reiß/Wenning/Erhorn/Rouvel 2005, Fraunhofer IRB-Verlag, S. 127, 131

Dipl.-Geogr. Martin Frey
Fachjournalist
mf@agenturfrey.de

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