Um was es geht
Die Notwendigkeit einer Energiewende wird nun auch von der Politik mehrheitlich erkannt. Allerdings werden häufig Wandlungsschritte genannt, die nicht zielführend oder durchführbar sind. Ablauf und Einzelheiten des Wendeprozesses bleiben oft unberücksichtigt. Die Energiebilanzen einzelner Wandlungsschritte werden nur selten präsentiert. Die Wende ist eine Folge von Schritten, die mit Blick auf das erstrebte Ziel in einer bestimmten Reihenfolge richtig gewählt werden müssen. Die Energiewende sollte also mit Weitblick geplant und verwirklicht werden. Dieser Text beleuchtet die wesentlichen Eckpunkte der Wende aus Sicht eines Ingenieurs, der sich seit 1972 an vorderster Front mit dem Thema beschäftigt hat und deshalb in Zusammenhängen denkt, die von Experten mit qualifiziertem Fachwissen oft übersehen werden.
Energieversorgung im Wandel
Fast 50 Jahre nach seiner Schöpfung ist das Wort „Energiewende“ zu einem Schlagwort geworden. Die Politik liefert den Zeitplan für die Energiewende ohne die physikalischen Aspekte des Wandels zu bedenken. Inzwischen kommt zur Energie- auch die Klimasicherung hinzu. Mit historischen Erfahrungswerten wird der zukünftige Energiebedarf prognostiziert. Der fundamentale Wandel des Energiesystems und die Möglichkeiten der effizienteren Energienutzung bleiben oft unberücksichtigt. Die für die Wende notwendigen Investitionen werden thematisiert, nicht aber die kostenfreie Energieernte aus erneuerbaren Quellen. Der Ukrainekonflikt verdeutlicht, dass der Einsatz fossiler Energieträger und Uran Volkswirtschaften erpressbar macht. Die Energiewende wird zu einem komplexen Wandlungsprozess, bei dem die Politik nur regeln kann, was sich aufgrund politischer Verantwortlichkeiten gestalten lässt, denn die Physik lässt sich nicht ändern. Der Gesetzgeber könnte Anreize für Privatinitiativen schaffen, denn die Energiewende wird in erster Linie vom Energieverbraucher von unten nach oben gestaltet.
Zeithorizont
Die Energie- und Klimawende kann nicht über Nacht verwirklicht werden. Aber wir müssen mit der Wende sofort beginnen, auch wenn keine Notwendigkeit für unbedachte Schnellschüsse besteht. Einzelne Wendeprozesse sollten sorgfältig geplant und dann mit physikalischer Begründung zügig umgesetzt werden. Wir haben nur eine begrenzte Zahl von Pfeilen im Köcher. Zweimal zielen und genau treffen ist besser als viele schlecht gesetzte Schüsse. Für den komplexen Prozess der Energiewende ist derzeit nur der Zielbereich bekannt. Erst die physikalischen Zusammenhänge machen die Teilziele sichtbar. Mit Wunschvorstellungen, Parteibeschlüssen und Volksinitiativen können die Pfeile nicht gezielt abgeschossen werden.
Nachhaltige Energiequellen
Eine dauerhafte Energieversorgung kann nur mit sauberer und langfristig verfügbarer Energie aus erneuerbaren Quellen erfolgen, also mit Sonne, Wind, Wasserkraft, Tidenhub, Geothermie und Biomasse. Die Entwicklung von Kernfusion und Atomkraftwerken der nächsten Generation sollte kritisch hinterfragt werden. Auch wenn diese Entwicklungen zu brauchbaren technischen Systemen führen, kommen sie zu spät, um das Klima zu retten. Strom aus erneuerbaren Quellen ist in jedem Fall günstiger als Strom aus thermischen Kraftwerken jeglicher Bauart. Auch hinterlassen nicht nur Atomkraftwerke, sondern auch Fusionsreaktoren stark strahlendes Material.
Die Energie aus nachhaltigen Quellen wird vorwiegend als physikalische Energie, also als Strom und Wärme geerntet. Nur Biomasse liefert chemische Energie, die mit geringem Aufwand gespeichert werden kann. Holz und Biogas kann als Brennstoff dienen oder mit Gasmotoren zur Stromerzeugung genutzt werden. Beide Energieträger können im Sommer gesammelt und ohne grossen Speicheraufwand im Winter zur Überbrückung der sonnenarmen Zeit eingesetzt werden.
Bekanntlich bläst der Wind besonders stark, wenn die Sonne nicht scheint, also nachts, bei schlechtem Wetter und im Winter. Die nachhaltigen Energiequellen Wind und Sonne ergänzen sich gut. Zusammen mit fliessender oder gespeicherter Wasserkraft und gespeicherter Bioenergie können Sonne und Wind den Energiebedarf ganzjährig weitgehend decken. Einige Kommunen haben mit solchen Systemen bereits die Energieautarkie verwirklicht.
Alle auf politischer Ebene getroffenen Maßnahmen zur Gestaltung der Energiezukunft sollten sich an den Eigenschaften nachhaltiger Energieformen und nicht an den Merkmalen konventioneller Energieträger orientieren. Heute wird Strom vom Kraftwerk geliefert, morgen auf dem eigenen Hausdach geerntet. Das führt zu strukturellen Veränderungen der Energieversorgung. Die bereits entwickelte Energietechnologie kann mit geringen Anpassungen sofort zur nachhaltigen Gestaltung der Energiewende eingesetzt werden. Für spezielle Forschungsprogramme besteht keine Notwendigkeit. Die Politik sollte den Mut haben, auch einmal nein zu sagen. Die Zeit ist abgelaufen für die technologieoffene Entwicklung von Konzepten, denen mit einer physikalischen Begründung ein Scheitern vorausgesagt werden kann.
Augenwischer Wasserstoff
Für alle, die sich von Wunschvorstellungen leiten lassen, ist Wasserstoff nicht nur der Energieträger der Zukunft, sondern oft sogar die ultimative Lösung für alle Energieprobleme. Wer sich jedoch an dem physikalischen Grundprinzip der Energieerhaltung orientiert, für den ist die Stromverteilung mit künstlich erzeugtem Wasserstoff ein untaugliches Mittel zur Verwirklichung der Energiewende. Wasserstoff soll mit grünem Strom elektrolytisch aus Wasser gewonnen werden. Dafür müssen alle Prozessstufen (Wasserbeschaffung, Wasseraufbereitung, Elektrolyse, Kompression, Verflüssigung, Speicherung, Transport) mit grünem Strom versorgt werden, bzw. verursachen hohe Energieverluste (Elektrolyse, Kompression, Verflüssigung). Alles in allem und gleich wie man es macht, von eingesetzten vier Kilowattstunden grünem Strom kann der Endverbraucher höchsten eine einzige nutzen. Die Situation verschlechtert sich weiter, wenn der Wasserstoff als Basis für die Herstellung synthetischer Kohlenwasserstoffe verwendet oder per Tankschiff aus sonnenreichen Gegenden importiert wird. Mit direkt genutztem grünen Originalstrom kann man kochen, heizen, autofahren, beleuchten und kommunizieren, also alles machen, was neben essen und trinken zum Leben gehört. Als chemischer Rohstoff kann Wasserstoff den Einsatz von fossilem Kohlenstoff verringern und so einen Beitrag zum Klimaschutz leisten.
Die erheblichen Energieverluste einer Wasserstoffwirtschaft sind zum überwältigenden Teil physikalische bedingt und können nicht verbessert werden. Die für den Energiewandel notwendigen technischen Anlagen sind entwickelt, können aber weiter verbessert werden. Forschungsprogramme zu Optimierung der Wasserstoffwirtschaft sind nicht zwingend nötig, denn der Wirkungsgrad von Elektrolyse oder Brennstoffzelle lässt sich für optimale Betriebsbedingungen nur unwesentlich verbessern.
Ohne Berücksichtigung der schlechten Energiebilanz propagiert man grünen Wasserstoff, weil man damit auf dem Papier alles machen kann. Man lässt sich von bildlichen Darstellungen täuschen, weil diese nur die technischen Verknüpfungen verständlich zeigen. Die Energiezukunft kann aber nicht mit Schaubildern gestaltet werden. Sie wird von Gesamtenergiebilanzen bestimmt, die sich nicht bildlich darstellen lassen.
Buchtipp
Energiewende zu Ende gedacht – Was denn sonst?
Ulf Bossel, ISBN 978-3-033-04773-0, 174 Seiten, Preis 30 CHF / 25 €
Das Buch „Energiewende zu Ende gedacht – Was denn sonst?“ ist ein Versuch, den physikalischen Zustand nach der Wende zu beschreiben. Nur mit Kenntnis der Bedingungen nach vollendeter Wende lassen sich die Ziele für den notwendigen Wandel sicher erkennen. Das Buch vermittelt Begründungen für eine abgesicherte Planung und eine zügige Umsetzung der notwendigen Maßnahmen. Für alle Leser ist das Buch eine nützliche und aufklärende Informationsquelle, denn die Energiewende ist eine Aufgabe, die wir jetzt miteinander hinter uns bringen müssen.
Bestellungen schriftlich an:
Dr. Ulf Bossel
Morgenacherstrasse 2F
CH-5452 Oberrohrdorf / Schweiz
ubossel@bluewin.ch
Tatsächlicher Energiebedarf
Wie viel Erneuerbare Energie benötigt der Mensch zum Erhalt seines Lebensstandards einschließlich aller von Industrie, Wirtschaft und Verwaltung erbrachten Energiedienstleistungen? Art und Menge des Energiebedarfs werden also durch die vier Frageworte bestimmt: was, wann, wo und wofür. Die Zukunft muss im Wesentlichen mit den physikalischen Energieträgern Strom und Wärme gestaltet werden, weil sich diese von erneuerbaren Energiequellen ernten lassen.
Nicht nur die Energieversorgung, sondern auch die Energienutzung wird sich grundlegend ändern. Strom aus erneuerbaren Quellen wird vermehrt direkt eingesetzt, weil er vor Ort geerntet und genutzt werden kann. Es wird mit grünem Strom kein synthetisches Methan hergestellt werden, um bestehende Gaskessel weiter betreiben zu können, vielmehr werden Gasheizungen durch elektrische Wärmepumpen ersetzt. Ebenso wird es einen Wechsel zur Elektromobilität geben anstatt Verbrennungsmotoren mit synthetischen Kraftstoffen zu betreiben. Wasserstoff wird auch im Verkehrssektor ein Wunschenergieträger bleiben, denn die Reichweite von Elektromobilen ist wesentlich größer, zudem sind diese kostengünstiger als mit Wasserstoff betriebene Fahrzeuge. Diese Beispiele verdeutlichen, dass sich mit der Energiewende nicht nur das Energieangebot verändert. Im Bereich der Energienutzung werden Techniken zum Einsatz kommen, von denen die meisten bereits entwickelt, optimiert und marktgängig sind. Die eigentliche Frage ist, mit wie wenig Energie aus erneuerbaren Quellen kann der Wohlstand gesichert werden. Direkt genutzter grüner Strom wird dabei die dominierende Rolle spielen.
Leider klammern sich viele an einer für den fossilen Überfluss entwickelten Energietechnik. Eine Orientierung am heutigen verschwenderischen Einsatz fossiler Energieträger und eine Substitution derselben durch synthetische Energieträger ist nicht zielführend.
Nachhaltige Energieernte
Die Fundstätten fossiler Energieträger sind geographisch begrenzt. Energie von Sonne, Wind und Biomasse kann jedoch in unterschiedlichen Mengen überall geerntet werden. Das führt zu einer globalen Veränderung der Energieversorgung. Erneuerbare Energie wird bevorzugt dort geerntet, wo sie gebraucht wird, also Strom vom Hausdach zur Batterie im Keller. Nicht nur Hausbesitzer, sondern auch Gewerbe- und Industriebetriebe, sowie öffentliche Gebäude werden in Zukunft wenigstens einen Teil ihres Strombedarfs mit eigenen PV-Anlagen decken. Dieser Trend ist unumkehrbar, denn der selbst geerntete Strom ist heute bereits billiger als der übers Netz gelieferte. Die Stromwirtschaft wird auf den Kopf gestellt. Statt planbarer Stromlieferungen zum Stromkunden müssen in Zukunft Stromverschiebungen in beide Richtungen organisatorisch gehandhabt werden.
Heute ist noch nicht erkennbar, wie groß die Stromflüsse bei einem dezentralen Ausbau der Stromernte sein werden. Während der Zubau von Kraftwerken nur nach langer Planung und zeitraubenden Genehmigungsverfahren erfolgt, bedarf es zur dezentralen Stromernte nur den Blick auf den Kontoauszug. Private PV-Anlagen werden installiert, wenn genügend Geld in der Kasse ist.
Zwei Entwicklungen laufen also gleichzeitig ab, wobei die dynamischere auf der Verbraucherseite den Stromlieferanten einen Strich durch die Rechnung machen könnte. Das Ganze kann sehr schnell gehen, wie wir es etwa bei der raschen Verbreitung von Computern oder Mobiltelefonen erlebt haben. Die Energiewende wird zu wesentlichen Teilen vom Endverbraucher getragen. Bisher wird dieser Trend leider nicht ausreichend unterstützt. Die Verwirklichung der Energiewende wird zum Beispiel durch Netzgebühren für den eingespeisten Ökostrom entscheidend gebremst.
Energieversorgung
Die Struktur der heutigen Energieversorgung hat sich im Lauf der Jahre für die Verteilung der Energieträger Kohle, Erdöl und Erdgas, sowie für die Stromverteilung aus Wärme- oder Wasserkraftwerken entwickelt. Endverbraucher werden zuverlässig mit Energie versorgt, weil sie selber keine Möglichkeit einer eigenen Energiebeschaffung hatten. Das hat sich geändert. Sonnenenergie, Wind und Biomasse können dezentral als Strom, Wärme und Brennstoff geerntet werden. Auch sind zuverlässige Techniken für die dezentrale Stromerzeugung mit Biogas entwickelt, die bereits in energieautarken Gebäuden, Gemeinden oder Regionen zum Einsatz kommen. Mit der Energiewende wird sich dieser Trend zur Eigenversorgung beschleunigen. Zentrale Versorgungsstrukturen werden zunehmend an Bedeutung verlieren, jedoch nie ganz verschwinden. Die wesentlichen Veränderungen kommen von Endverbrauchern, die als Kunden bekanntlich König sind.
Voraussetzung für die Verwirklichung der Energiewende ist also nicht der Ausbau von Starkstromtrassen, sondern die Einbindung von dezentral geerntetem Strom in die regionale Stromversorgung. Für diese neue Art der feingliedrigen Stromverschiebung wird fortan das Wort „Elektronenwirtschaft“ verwendet. Im Gegensatz zur Elektrizitätswirtschaft, bei der die Aktionäre die wirtschaftlichen Interessen der Stromlieferanten vertreten, sind bei einer Elektronenwirtschaft auch die Endverbraucher als Stromerzeuger und Stromnutzer in das Geschehen eingebunden. Im Gegensatz zur ähnlich definierten Wasserstoffwirtschaft wird sich die Elektronenwirtschaft jedoch wegen ihrer wesentlich besseren Energieeffizienz und der viel niedrigeren Energiepreise als existenzfähig erweisen. Die Energiewende kann nicht mit den hohen Energieverlusten einer Wasserstoffwirtschaft gestaltet werde. Die Energiewende ist mehr oder weniger fest mit der Verwirklichung einer Elektronenwirtschaft verbunden.
Elektronenwirtschaft
Heute schickt die Elektrizitätswirtschaft Strom in einer Richtung vom Kraftwerk zur Steckdose, ein Einwegsystem mit gelegentlicher Zwischenspeicherung in Stauseen. In Zukunft wird Strom auch dezentral geerntet und vor Ort mit eigenen Steckdosen genutzt oder ins Netz eingespeist, um andere Steckdosen zu versorgen. Diese Elektronenverschiebung in beide Richtungen verlangt neben intelligenten Steuerungen auch Stromspeicher für den Ausgleich von Angebot und Nachfrage. Heute ermöglichen Pumpspeicher, Warmwasserboiler oder Speicherheizungen eine konstante Stromproduktion in thermischen Kraftwerken. In Zukunft fluktuiert auch das Stromangebot mit Sonnenlauf, Wetter und Jahreszeit. Solarstrom wird den Strombedarf in den Mittagsstunden sonniger Tagen übertreffen. Die heute für die Lieferung von Nachtstrom installierten Speicher werden in Zukunft geladen, wenn zu viel Sonnenstrom in der Leitung ist. Diese Beispiele stehen für Veränderungen, die nicht nur mit neuer Technik, sondern vor allem mit organisatorischen Anpassungen der bestehenden Praxis verbunden sind. Der Übergang von einer Elektrizitäts- zu einer Elektronenwirtschaft ist ein wesentlicher Teil der Energiewende. Der unumgängliche Wandel umfasst nicht nur Angebot und Nachfrage, sondern auch eine Fülle von technischen, organisatorischen, kommerziellen, administrativen und politischen Einzelmaßnahmen, die bedacht werden müssen.
Energiekosten nach der Wende
Die Energiewende wird uns nicht geschenkt. Wir müssen Geld in den Bau neuer Anlagen und in die Anpassung bestehender Strukturen investieren. Wie bei allen Investitionen werden auch diese über einen Zeitraum von etwa 20 Jahren amortisiert. Danach bestimmen Brennstoffkosten und Betrieb der Kraftwerke, sowie die Höhe der unternehmerischen Gewinne den Preis des erzeugten Stroms. Bei grünem Strom entfallen die Brennstoffkosten. Auch sind die Personalkosten pro Stromlieferung wesentlich niedriger. Abgeschriebene grüne Anlagen werden Strom zu sehr günstigen Konditionen liefern. Bereits heute ist Solarstrom nicht nur in sonnenreichen Gegenden, sondern auch in Mitteleuropa der billigste auf dem Markt. Auch Windstrom ist konkurrenzfähig. Mit steigenden Preisen für fossile Brennstoffe und Uran werden die Erzeugungskosten für Kraftwerkstrom weiter steigen. Die Energiewende führt also zu vergleichsweise niedrigen und konstanten Energiekosten, weil uns die Sonne keine Rechnung stellt und „ewig“ scheint. Dieser Aspekt wird bisher kaum gewürdigt. Meist wird lediglich über die Investitionen gestritten, die für die Verwirklichung der Energiewende notwendig sind. Es werden Anlagen benötigt, deren Lebensdauer die Amortisationszeit deutlich übertreffen.
Privatinitiativen
An der Energiewende sind viele Bürger beteiligt. Sie nutzen den auf ihrem Hausdach geernteten Strom selbst oder verkaufen ihn an Netzbetreiber. Hausbesitzer können den Energieverbrauch durch energetische Sanierungsmaßnahmen reduzieren. Autofahrer werden ihre Elektrofahrzeuge mit Strom von der eigenen PV-Anlage aufladen. Vom Endverbrauch her wird ein Marktdruck aufgebaut, der letztlich zu einer Umgestaltung des Stromliefersystems führen wird. Die Politik sollte diesen durch Privatinitiativen ausgelösten Wandlungsdruck erkennen und unterstützen, also wörtlich „mit dem Strom schwimmen“. Die Energiewende kann nur dann schnell und erfolgreich verwirklicht werden, wenn sich die Mehrzahl der Stromverbraucher am Wandel beteiligen kann und nicht durch Vorschriften und Abgaben daran gehindert wird.
Verknüpfungen
Heute werden notwendige Maßnahmen oft isoliert betrachtet und nicht im grossen Zusammenhang gesehen. Jede Maßnahme, also auch die im Energiebereich zu treffende, kann andere Maßnahmen beeinflussen. Die Energiewende kann nur problemlos verwirklicht werden, wenn negative Wechselwirkungen vermieden werden.
Ein einleuchtendes Beispiel hierfür ist der Austausch von Heizkesseln durch elektrische Wärmepumpen. Wärmepumpen sind intelligente Elektroheizungen, die im Winter betrieben werden müssen, wenn weniger Solarstrom zur Verfügung steht. Stromlücken werden im Winter unvermeidbar, wenn bestehende Heizkessel durch Wärmepumpen gleicher Leistung ersetzt werden. Neue thermische Kraftwerke müssen gebaut werden, die aber im Sommer ihren Strom zu Schleuderpreisen abgeben müssen, wenn ohnehin zu viel Solarstrom verfügbar ist. Das erschwert den wirtschaftlichen Einsatz von Solaranlagen. Die Energiewende gerät ins Stocken.
Deshalb sollten bestehende Gebäude zuerst thermisch saniert werden, damit der verbleibende Heizwärmebedarf mit kleinen Wärmepumpen gedeckt werden kann. Diese benötigen für den Energiebezug keine teuren Erdsonden sondern lediglich kleine Luftwärmetauscher. Diese könnten auch mit Solarstrom vom eigenen Hausdach betrieben werden. Die stark verminderte tägliche Nachheizung von Nullenergiegebäuden könnte sogar zur Mittagszeit erfolgen, wenn die Aussentemperatur und die Sonneneinstrahlung ein Maximum erreichen. Dieses Beispiel verdeutlicht, dass für die Verwirklichung der Energiewende viele komplexe Zusammenhänge berücksichtigt werden müssen.
Strommarktsteuerung
Auch in Zukunft gelten die Gesetze von Angebot und Nachfrage. Preise steigen, wenn die Nachfrage nach Strom größer ist als das Angebot und sinken, wenn zu viel Strom in der Leitung ist. Heute schafft die Elektrizitätswirtschaft mit Nacht- und Pumpspeichern die Voraussetzung für eine zuverlässige Stromversorgung. Das stark schwankende Angebot von grünem Strom kann kaum noch mit bestehender Technik den ebenfalls schwankenden Bedarf angepasst werden. Der grüne Strom sollte deshalb möglichst dann genutzt werden, wenn die Sonne scheint und/oder der Wind bläst. Nachtstrom wird knapp, während Tagstrom an sonnigen Tagen im Überfluss geerntet werden kann.
Die Energiewende kann mit einer dynamischen Tarifgestaltung unterstützt werden. Hierfür müssten die Stromtarife für Lieferung und Einspeisung dem meteorologisch bestimmten grünen Stromangebot angepasst werden. Strom wird billiger bei guter Stromernte und verteuert sich bei Dunkelflauten. Das schafft Investitionsanreize für Maßnahmen im Endbereich. Bei der grünen Stromschwemme wird die auf dem Hausdach geerntete Strom in der eignen Haus- oder Fahrzeugbatterie gespeichert, weil die Einspeisetarife niedrig sind. Bei Strommangel wird grüner Strom direkt oder aus den Speicherbatterien ans Netz geliefert, weil sich damit gutes Geld verdienen lässt. Mit der Einführung angepasster Tarife für Strombezug und Einspeisung werden Marktkräfte für die Umsetzung der Energiewende aktiviert. Die hierfür benötigen intelligente Zähler sind bereits entwickelt, aber noch nicht überall installiert.
Ein gutes Beispiel für die direkte Nutzung von grünem Strom ist die Aufladung von Elektrofahrzeugen nicht mit Nachtstrom in der Hausgarage, sondern mit Tagstrom am Arbeitsplatz, denn auch auf dem Firmenparkplatz kann das Auto geladen werden, wenn es nicht gefahren wird. Stromangebot und Stromnachfrage werden so ohne Nachteil für den Konsumenten synchronisiert. Die Stromlieferung kann der jeweiligen Wetterlage angepasst werden, denn lokal genutzte Elektrofahrzeuge müssen nicht täglich nachgeladen werden. Mit organisatorischen oder administrativen Maßnahmen dieser Art wird der Weg in eine Elektronenwirtschaft geebnet.
Die bestehende Stromversorgung funktioniert heute nur, weil auf der Seite der Stromerzeugung Überkapazitäten installiert sind. Das Gleiche gilt auch für die Stromernte aus nachhaltigen Quellen. Grüner Strom kann bisweilen nicht ins Netz eingespeist werden. Das tut weh, ist aber unvermeidbar und muss akzeptiert werden.
Ganzjährige Energieversorgung
Wir denken oft nur an die Sonne, die im Sommer mehr Energie liefert als im Winter. Für die nachhaltige Energieversorgung stehen aber auch Wind, Laufwasser, Biomasse und Geothermie zur Verfügung, die zusammen mit Sonnenergie eine zuverlässige ganzjährige Energielieferung gestaltbar machen, wie bereits verwirklichte Projekte zeigen. In diesem Energieverbund wird Windenergie eine wesentliche Rolle spielen, weil diese vornehmlich Strom dann liefert, wenn die Sonne nicht oder nur schwach scheint. Biomasse ist ein speicherbarer Energieträger, mit dem sich das schwankende Energieangebot von Sonne und Wind zeitlich glätten lässt. Deshalb ist es besser, Restholz nicht im Sommer in Holzkraftwerken zu verbrennen, sondern für die Strom- und Wärmeerzeugung im Winter zu nutzen. Auch sollte Biogas nicht ganzjährig direkt verstromt, sondern für die bedarfsgerechte Stromerzeugung im Winter oder nachts gespeichert werden. Die viel diskutierte saisonale Energiespeicherung mit Wasserstoff ist technisch machbar, wird sich aber vorerst nicht am Markt behaupten können. In Deutschland können nur etwa drei Prozent des Windstroms nicht eingespeist werden. Die Kosten für den mit Wasserstoff gespeicherten Strom sind nicht vertretbar. Erst wenn die Möglichkeiten zur zeitverschobenen Nutzung von Biomasse voll ausgeschöpft sind wird klar werden, wie viel Wasserstoff für die Sicherung der winterliche Energieversorgung mit dem überschüssigem Sonnenstrom erzeugt werden muss, wie und wo das erzeugte Synthesegas gespeichert werden kann und wie viel Geld sich mit dem im Winter erzeugten Strom verdienen lässt.
Strommangel
Aufgrund pauschaler Betrachtungen wird für die nächsten Jahre eine Stromlücke vorausgesagt. Im Winter könnte der Strombedarf das Stromangebot übersteigen. Diese Prognose basiert auf der Fortschreibung heutiger Bedarfszahlen und Wachstumsraten. Hier wird mit wenigen Strommangelstunden pro Jahr gerechnet und vergessen, dass es viele Möglichkeiten gibt, diese Notzeiten mit gezielten Abschaltungen von passiven Verbrauchern problemlos zu überbrücken. So könnte die Stromlieferung an Boiler, Fahrzeugbatterien, Speicherheizungen, Heizwärmepumpen, Straßenbeleuchtung und vielen anderen Stromverbrauchern vorübergehend ohne Verluste an Komfort und Sicherheit unterbrochen werden. Voraussetzung für die Anpassung der Stromlieferungen an die jeweilige Netzbelastung ist jedoch die Delegation des Lieferkommandos an den Stromlieferanten. Die genannten Verbraucher werden mit den bereits installierten Nachtstromschaltern nur mit dem Netz verbunden, wenn zu viel Strom in der Leitung ist und nicht zu festgelegten Nachtstunden. Für alle notwendigen Anwendungen wie Kochen, Kommunikation oder Beleuchtung ändert sich nichts. Intelligente Zähler sind bereits im Einsatz. Für die Sicherung der Stromversorgung sollte die Lieferanten vielleicht über eine getrennte Abrechnung von Normal- und Speicherstrom nachdenken.
Prioritäten
Voraussetzung für das Gelingen der Energiewende ist die Energieernte aus erneuerbaren Quellen. Der Ausbau von Wind- und Solaranlagen hat absolute Priorität und höchste Dringlichkeit. Fossile Energieträger müssen wegen der drohenden Klimaerwärmung und zum Erhalt einer gewissen politischen Unabhängigkeit möglichst schnell durch grüne Energie aus heimischen Quellen verdrängt werden. Einige der genannten Maßnahmen können sofort ergriffen werden. Dazu zählt die Gebäudesanierung vor dem Ersatz von Heizkesseln durch Wärmepumpen oder die Installation von Ladestationen auf den Parkplätzen von Verwaltungs-, Gewerbe- und Industriebetrieben. Viele kostengünstige Lösungen werden erst bei einem grünen Stromüberschuss erkennbar. So ist zum Beispiel die Zeit noch nicht reif für den wirtschaftlichen Einsatz von grünem Wasserstoff. Die gelegentlichen Überschüsse von Windstrom lassen sich mit geringem organisatorischen Aufwand immer noch nutzbringend einsetzen. Viel wichtiger ist die Belegung von Dächern und Fassaden mit Photovoltaikanlagen verbunden mit hausinternen Stromspeichern. Zur Unterstützung der Energiewende sollte der Gesetzgeber den Wendewillen der Bürger stärker unterstützen.
Zusammenfassung
Es wäre sicherlich möglich, die Empfehlungen an die Politik zu vertiefen. Die angeführten Beispiele verdeutlichen dennoch, dass die Maßnahmen zur Gestaltung der Energiewende in einer bestimmten Reihenfolge verwirklicht werden müssen. Die Zeit für eine technologieoffene Entwicklung in alle Richtungen ist vorüber. Das Ziel ist erkannt, die Marschroute liegt fest, der Weg ist begehbar und die Schritte können folgen, einer nach dem anderen. Angesichts der weltpolitischen Lage muss die Schrittfolge jedoch stark beschleunigt werden, denn die Zeit drängt.
Dr. Ulf Bossel
PhD. (UC Berkeley), Dipl. Masch. Ing. (ETH Zürich), Berater für nachhaltige Energielösungen
ubossel@bluewin.ch